Der #BPT10 – ein Rückblick mit Pathos und Alkohol

Ein geiles Wochenende – und nach einem guten Essen, einem halben Liter Schwarzbier und 3 Ouzo geht mir das noch leichter von den Fingern. (Darf ich mal erwähnen, dass ich durchaus unter dem Einfluss von Alkohol stehe?). Kann aber auch sein, dass das auch das Rauschgefühl des vergangenen Wochenendes ist.

Wie fing alles an? Mit einem Wort: Chaotisch. Gegen 9 Uhr am Samstag sollte die Akkreditierung sein. Leider funktionierte das Internet nicht, aber die GenSeks hatten anscheinend vorgesorgt. Die Berliner ganz professionell mit Scanner, die Hamburger, ganz nordisch, mit manueller Gesichtserkennung 🙂 (Was daran nordisch sein soll, weiß ich auch nicht, ich brauchte aber eben ein Attribut für den Text)

So oder so, die Versammlung fing trotz des fehlenden Internets recht pünktlich an – und schon der Anfang ließ massive Zweifel am Erfolg des Wochenendes kommen. Bei der Wahl zum Versammlungsleiter (Es wurde ein Team gewählt), gab es einen Kandidaten, der massiv Kritik erhielt, da von ihm nicht wenige Anträge dieses Parteitags stammten. Die Gefahr wurde geäußert, dass er in diesen Punkten nicht unparteiisch sein könne. Bei der – eigentlich normalerweise eher symbolischen – Wahl war das Ergebnis so knapp, dass ausgezählt werden musste.

Das steigerte sich, indem eine geheime Wahl gefordert (und durchgeführt) wurde – für einen Versammlungsleiter! An dieser Stelle hatte ich gehofft, dass die kritisierte Person freiwillig zurückzieht, was leider nicht geschah. Stattdessen musste ausgezählt werden. Die Auszählung ergab dann übrigens, dass er nicht gewählt wurde. Viel Zeit war dadurch verloren gegangen.

Noch eine weitere Geschichte sollte sich dann prägend für die Außenwirkung – zumindest am Samstag – ergeben. Ich saß zufällig daneben, als Mirco da Silva (eine höchst streitbare Person) Bodo Thiessen (eine nicht minder streitbare Person) das Akkreditierungsbändchen entriss, dass dieser um seinen Arm hatte. Dies wurde später von der Presse als “tätlicher Angriff” bezeichnet und wurde der Aufhänger vieler Zeitungsartikel, die am Samstag über uns erschienen waren. Mirco erhielt wenig später Platzverbot. Die Aktion von Mirco war definitiv nicht in Ordnung, aber der Platzverweis den der Versammlungsleiter aussprach, war eine sehr heftige Reaktion. Ob diese gerechtfertigt war, ist zumindest zu hinterfragen.

Es dauerte gefühlte Ewigkeiten, bis wir endlich mit dem anfangen konnten, weswegen wir gekommen waren – der Programmatik. Nach meiner getrübten Erinnerung hielten wir uns die ersten 3 Stunden massiv mit Formalismen auf.

Dann fing es endlich an: Per Alex-Müller-Verfahren war vorher die Reihenfolge festgelegt worden, in der die vielen Anträge (Fast 400, wenn ich mich nicht täusche) bearbeitet würde. Zum Glück gab es dann zusätzlich noch den Antrag, zunächst nur die Grundsatzprogrammanträge zu bearbeiten – dies sollte sich im späteren Verlauf als massiver Glückgriff erweisen. Die ersten Anträge waren noch ein wenig Geplänkel, dann nahm der Prozess massiv Fahrt auf, um zwischendrin in (gefühlt) unendlichen Transparenzanträgen zu versumpfen.

Der erste Tag endete dann in der Abstimmung über ein Thema, das viele Piraten bewegte, sowohl in der einen, als auch in der anderen Hinsicht – das BGE. Es gab den Antrag auf “Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe”. Dieser wurde von einer erheblichen Mehrzahl aller Piraten beschlossen (von mir nicht), einige Befürworter veranlasste die Entscheidung zu einem massiven Freudentaumels. (die Reaktion war sehr emotional). In Twitter wurde sehr schnell verbreitet, dass die Piraten für ein bedingungsloses Grundeinkommen seien. Ironie am Rande: Am darauffolgenden Tag gab es ein Meinungsbild, ob die Piraten der Ansicht seien, dass sie am Samstag ein BGE beschlossen hätten: Eine große Mehrheit sagte dazu: “Nein”. So oder so: Der erste Tag endete nicht unbedingt zu meiner Zufriedenheit und die BGE (oder auch nicht BGE?)-Entscheidung führte zu mindestens einem Rücktritt (Schatzmeister Chemnitz).

Am Abend gab es dann eine Party, von der ich mich aber “schon” gegen 1:30 abseilte, als die Leute anfingen, massiv in den Räumen zu rauchen. (Sowas stört mich massiv) Abgesehen davon wollte ich fit für den nächsten Tag sein.

Ich war nach etwa 5 Stunden Schlaf am nächsten Morgen fit – erstaunlicherweise waren dies auch viele andere Piraten (Ich hatte Anderes erwartet und bin wohl doch ein massives Weichei). Die Veranstaltung ging um 10 Uhr weiter und die Reihen waren nicht massiv entleert.

Am Sonntag nahm der Parteitag massiv Fahrt auf. Es gab emotionale Debatten, aber sie waren alle zur Sache. Die GO-Schlachten hielten sich seltsamerweise in Grenzen. (Haben die Piraten dazugelernt?) Wir kamen dann auch irgendwann (wider Erwarten) bei einem meiner Herzensthemen an – dem Umweltschutz. Bei einer Debatte (“Atomausstieg/Sicherheit kerntechnischer Anlagen”) wurde ich dann bei einer Wortmeldung am Mikrofon recht emotional (für meine Verhältnisse) und erhielt merklichen Applaus dafür (komischerweise hatte ich es geschafft, klare Sätze zu sprechen, die aufeinander aufbauten und eine für mich eher selten erreichte Wirkung auf das Publikum erzielten) – der Antrag kam mit großer Mehrheit durch.

Wir ritten weiter durch die Themen und endeten bei der “Gender und Familienpolitik” – und beschlossen etwas, was die Grünen laut einem Twitter-Beitrag extrem konservativ wirken lässt: wir fordern, dass der Staat das Geschlecht nicht erfassen solle und dass Lebensgemeinschaften aller Art (Hetero, Homo und Gemeinschaften von mehr als 2 Personen) absolut gleichwertig zu betrachten seien und dass diese alle die selben Rechte, auch in Bezug auf Kinder und Co. haben müssen. An diesem Tag haben wir also als Schlusspunkt das Geschlecht und die klassische Ehe als Unterscheidungsmerkmal abgeschafft.

Als Nebeneffekt stellt sich meiner Ansicht nach heraus, dass wir damit auch massiv jeglicher Gender-Debatte innerhalb der Piraten eine klare Abfuhr erteilt haben. Wenn es uns absolut egal ist, ob sich eine Person (unabhängig von ihrer genetischen Ausprägung) als männlich, weiblich oder als was-auch-immer bezeichnet, können wir keinerlei Quoten einführen und können auch nicht unsere Texte “durchgendern” (in letzterem Fall würden wir alle die benachteiligen, die sich weder als Männlich noch als Weiblich bezeichnen). Ich betrachte das als revolutionär. (Und als nachträglichen Beweis dafür, wieso die Piraten auf den Christopher Street Day-Veranstaltungen absolut an der richtigen Stelle waren – mehr als alle anderen Parteien) Mit diesem Antrag endete die Veranstaltung – und hinterließ ein massives Glücksgefühl bei den Anwesenden.

Welche Anträge wir bearbeitet haben, ist hier zu ersehen: http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Cochi/Beschl%C3%BCsse_BPT2010.2 Es waren 76 Anträge, von denen 41 beschlossen wurden – eine recht hohe und eine für mich im Vorfeld kaum zu erträumende Anzahl.

Nervig war, dass dennoch sehr viele Anträge unbearbeitet blieben. Für die nächsten Parteitage müssen wir uns etwas ausdenken, wie wir eine größere Anzahl von Anträgen effektiv bearbeiten können. Und eine weitere Kritik: Da das offizielle Antragsbuch aus Struktur- und Darstellungsgründen absolut unbrauchbar war, hatte sich eine Woche vorher spontan eine Gruppe von Leuten gefunden, die in kürzester Zeit ein inoffizielles Antragsbuch erstellt hatten, das massiv auf dem BPT angenommen wurde.

Ich finde es schade, dass nicht weit im Vorfeld dafür gesorgt worden war, dass sich Leute in diesen Bereich darum gekümmert haben, die die Zeit und die Fähigkeiten dazu hatten. Aber: Trotz der Kritik bleibt ein praktisch durchweg positives Endergebnis. Der Parteitag war sehr gut organisiert, vielen Dank an die Chemnitzer Piraten dafür. Die Versammlungsleitung war kompetent und auch bei den übrigen Piraten war das “wir wollen gemeinsam etwas erreichen” im Vordergrund. Mit der Kraft von allen Beteiligten haben wir an diesem Wochenende Parteigeschichte geschrieben. (Zu viel Pathos? Liegt vielleicht an zu viel Alkohol in meinem Blut? Oder es war doch einfach geil und ich bin noch im Freudentaumel)

P.S.: Das gesamte Wochenende über war der Zugriff auf das Internet erheblich eingeschränkt – und ich frage mich ernsthaft, ob das evtl. dazu geführt haben kann, dass sich die Piraten mehr mit den Themen als sonst beschäftigt haben.