Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist tot, es weiß es nur noch nicht

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist tot, es weiß es nur noch nicht
tl;dr: Das 2013 vom Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP beschlossene Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist kaputt. Und zwar richtig.

Die Bundesregierung verstieß beim Gesetzgebungsverfahren auf die Einhaltung einer EU-Richtlinie (98/34/EG) mit der Folge, dass dieses Gesetz unter Juristen als „nicht anwendbar“ gilt. Aus Akten des Justizministeriums geht zudem hervor, dass die Bundesregierung dieses Problem kannte und sich aus politischen Gründen über die Ratschläge ihrer Fachleute hinwegsetzte, um das Gesetz noch vor der Bundestagswahl 2013 über die Bühne zu bekommen.

Neu ist nicht die Information über die nicht erfolgte Notifizierung oder die Vielzahl der Stimmen aus der Wissenschaft, die auf die Notifizierungspflicht hinwiesen, sondern die Tatsache, dass selbst in der die Bundesregierung hausintern diese Ansicht vertreten war und die fachliche Expertise gegenüber der profanen Erkenntnis den Kürzeren zog, man habe nicht mehr genügend Zeit für ein europarechtlich konformes Gesetz.

In den letzten Monaten habe ich durch parlamentarische Anfragen im Europäischen Parlament, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages und Informationsfreiheitsanfragen genügend Material zusammenzutragen, um den gesetzgeberischen Totalschaden Presseverlegerleistungsschutzrecht belegen zu können. Dies alles zusätzlich zu dem inhaltlichen Komplettversagen des Gesetzes in den letzten Monaten im Zusammenspiel mit Verwertungsgesellschaften, Suchmaschinenbetreibern und Verlegern.

Kapitel 1: Die Richtlinie 98/34/EG

Seit 1998 gibt es eine europäische Richtlinie, die die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Europäische Kommission darüber zu unterrichten, wenn sie „technische Vorschriften“ auf nationaler Ebene entwirft. Ziel dieser Richtlinie ist die Erhöhung der Transparenz und das reibungslose Funktionieren des europäischen Binnenmarkts. Dieser Vorgang der Unterrichtung nennt sich Notifizierung und folgt einem festgelegten Muster, das es der Kommission ermöglicht, rechtzeitig zu prüfen, ob ein nationales Gesetzesvorhaben gegen EU-Recht verstößt. Das Gesetzgebungsverfahren darf nicht vor Ablauf einer Stillhaltefrist von drei Monaten abgeschlossen werden; in Einzelfällen kann die Frist auch noch auf Wunsch der Kommission verlängert werden.

Kapitel 2: Der LSR-Gesetzgebungsprozess

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wurde im November 2012 von der Bundesregierung als „Entwurf eines Siebenten Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes“ eingebracht und schafft in Form von §§87f-h ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger, also das „ausschliessliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen“. Mit diesem Gesetz löste die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung ein Versprechen an die Verlage ein, das bereits im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2009-2013 enthalten war.

Daten im Parlament:

  • 1. Lesung: 29. November 2012
  • Anhörung im Rechtsausschuss: 30. Januar 2013
  • Anhörung im Unterausschuss Neue Medien: 25. Februar 2013
  • 2.+3. Lesung und Schlussabstimmung: 1. März 2013

Kapitel 3: Die Europäische Kommission

Am Mittwoch, 27. Februar 2013 um 12 Uhr kontaktierte die Europäische Kommission (DG Enterprise and Industry, Unit C3 – Prevention of technical barrieres) die für die Richtlinie zuständige Abteilung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Referat EB2 – EU-Binnenmarkt). Die Kommission habe erfahren, dass eine Überarbeitung des deutschen Urheberrechtsgesetzes in Arbeit sei. Der Entwurf schaffe ein Recht für „Presseverleger“, „Presseerzeugnisse“ an die Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Kommission habe weiter erfahren, dass der Entwurf das Verbot der Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen via Suchmaschinenprovidern oder Providern von Diensten, die Inhalte in ähnlicher Weise verarbeiten, enthalte (Paragraph 87g Abs 4).

Im Falle, dass dieser Entwurf Regeln über die Dienste der Informationsgesellschaft enthalte, so wie sie in Artikel 1 Abs. 11 der Richtlinie 98/34/EG definiert sind, möchte die Kommission die deutschen Behörden an ihre Notifizierungspflichten nach Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie erinnern.

Die Email endet mit der „Einladung“ an die deutschen Behörden, eine Erklärung bezüglich dieses Gesetzesentwurfes bereitzustellen.

Noch am gleichen Tag wird die Email zunächst hausintern im Wirtschaftsminiterium, später an das Justizministerium weitergeleitet, versehen mit der „Wichtigkeit: hoch“. Bis zum Nachmittag ist diese Email an ein knappes dutzend Mitarbeiter im Justizministerium verteilt.

Keine zwei Tage später hat der Vorgang die Spitze des Ministeriums erreicht. In einer Vorlage an die Ministerin wird diese um Kenntnisnahme eines Vermerks und Billigung der Antwort an die Europäische Kommission gebeten, die als Entwurf an andere Bundesministerium zur Abstimmung geschickt werden solle.

Auf dem zweiseitigen Vermerk an die Ministerin wird begründet, warum das BMJ nicht von einer Notifizierungspflicht ausgeht. Ganz sicher ist man sich jedoch nicht, der Vermerk endet mit dem Absatz

Dokumente: Vermerk an die Ministerin zur Notifizierungspflicht des Leistungsschutzrechts für Presseverleger

Nach den vorliegenden Akten gibt es von der Ministerin am 5. März grünes Licht für das Schreiben, am 7. März erhalten das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt die Bitte zur Kenntnisnahme und um Einverständnis, gegenüber der Europäischen Kommission die Haltung zu vertreten, es bestünde keine Notifizierungspflicht.

Dokumente: Entwurf einer Antwort an die Europäische Kommission, in der die Notifizierungspflicht des Leistungsschutzrechts für Presseverleger bestritten wird

Kapitel 4: Die Ressortabstimmung

Am 11. März 2013 antwortet das Referat K 11 des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien: Man zeichne mit einigen Änderungen mit, weise jedoch darauf hin, dass es im Haus durchaus auch kritische Stimmen gäbe. Dem BMJ werde daher die Einschätzung des Referats für internationale Zusammenarbeit im Medienbereich zur Kenntnis beigefügt.

Und diese Einschätzung hat es in sich. Nicht nur, dass die Argumentation des BMJ umfassend gekontert wird, liefert das Referat eine Reihe von Gründen, warum eine Notifizierungspflicht bestehe.

Die Stellungnahme endet mit zwei Paukenschlägen: Zunächst einer deutlichen Warnung; Normen, die unter Verletzung des Notifikationsverfahrens zustande gekommen sind, können einem Einzelnen nicht entgegengehalten werden. Die Nichtbeachtung der Notifikationpflicht stelle einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der zur Unanwendbarkeit der technischen Vorschrift führe. Es besteht daher die nicht unerhebliche Gefahr, dass Gerichte das Gesetz wegen fehlender Notifizierung für nicht anwendbar erklären.

Der zweite Paukenschlag ist politischer Natur. Hinter der gewählten Auslegung der Richtlinie gehe es um das Zeitproblem der nahenden Bundestagswahlen. Wer jetzt notifizieren müsste, könnte das Gesetzgebungsverfahren nicht mehr rechtzeitig vor dem Ende der Legislaturperiode abschließen: „Auf die Gefahr einer späteren Blamage durch die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes sollte BMJ aber zumindest hingewiesen werden.“

Dokumente: Stellungnahme des Referats K31 des BKM zur Notifizierungspflicht

Ebenfalls skeptisch reagiert das Ministerium für Wirtschaft und Technologie, man sehe „durchaus auch Ansatzpunkte für eine mögliche andere rechtliche Bewertung hinsichtlich der Notifizierungpflicht“. Man rate in solchen Fällen „aus Gründen der Rechtssicherheit eher zur frühzeitigen Notifizierung“, respektiere aber die rechtliche Bewertung und Entscheidung des federführend zuständigen BMJ.

Am 15. März wird das abgestimmte Schreiben an das Wirtschaftministerium zurückgeschickt, damit man es dort an die Europäische Kommission weiterleite.

Kapitel 5: Die Gutachten

Auf Bitten der Bundestagsabgeordneten Renate Künast erstellte im März 2015 der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten zur Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie 98/34/EG auf das deutsche Presseverlegerleistungsschutzrecht. Im ersten Teil der Ausarbeitung werden Gründe gelistet, die für bzw. gegen die Notifizierungspflicht sprechen. Das Gutachten liefert zudem eine Reihe von Belegen mit den Überlegungen Dritter zur Notifizierungsfrage, darunter dem Kurzgutachten des Urheberrechtlers Thomas Hoeren, dem Aufsatz von Sebastian Telle und Simon Assion und dem Aufsatz des ehemaligen EuG-Richters Bo Vesterdorf. Ebenfalls wird auf den Schlussantrag des Generalanwalts Yves Bot in der Rechtssache C-42/07 vor dem EuGH verwiesen, der sich mit der Auslegung der Richtlnie 98/34/EG beschäftigt. Der einzige Grund, der gegen eine Notifizierungspflicht spreche, sei die Begründung der Bundesregierung selbst.

Kapitel 6: Wie weiter

Die Folgen einer nicht erfolgten nötigen Notifizierung sind eindeutig: Das nicht notifizierte Gesetz ist nicht anwendbar. Alleine schon aus diesem Grund raten alle Experten dazu, bereits bei dem leisesten Zweifel zu notifizieren, alleine schon, weil es nicht möglich ist, diesen Verstoß durch eine nachträgliche Notifizierung zu heilen.

Es ist ein politisches Problem, das größer ist als das Leistungsschutzrecht, wenn Gesetze nicht ordentlich zustandekommen. Die vorliegenden Unterlagen waren nur zugänglich dank einer erfolgreichen Informationsfreiheits-Anfrage von Markus Beckedahl.

Wenig zur Klärung beigetragen hat bislang die Europäische Kommission. Seit über drei Monaten ist eine Schriftliche Anfrage an die Kommission zur Frage der Notifizierung des deutschen Leistungsschutzrechts für Presseverleger unbeantwortet. Eine Schriftliche Anfrage von spanischen Abgeordneten aus der Fraktion Grüne/EFA zum gleichen Problem wurde ausweichend beantwortet, man prüfe noch.

Zusätzlich zur Schriftlichen Anfrage an die Kommission laufen derzeit Informationsfreiheitsanfragen an die Europäische Kommission, das Bundesministerium für Wirtschaft und an die Beauftragte für Kultur und Medien.

Für die politische Auseinandersetzung mit dem Leistungsschutzrecht ändert sich wenig.

Dank

Mein ganz besonderer Dank gilt
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  • der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) für die Beauftragung des Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes
  • Markus Beckedahl von

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Netzpolitik.org
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    für seine

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Informationsfreiheitsanfrage an das Bundesjustizministerium
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    zur Notifizierung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger

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Fragdenstaat.de
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    und

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Asktheeu

    für ihre großartigen IFG-Plattformen.

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Prognosen sind halt nur Prognosen (Windows Phone Marktanteile)

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Research firm Gartner believes Android will have a 49% market share in 2015, followed by Windows Phone at 19.5%, and Apple’s iOS growth will slow so much that it will only maintain a 17% share. IDC believes Windows Phone will have a 20.3 percent share in 2015.

Die aktuellen Daten für 2015 sehen da leicht anders aus:

Android dominated the market with a 78.0% share. (…) iOS saw its market share for 1Q15 decline slightly to 18.3% with 61.2 million shipments. (…) Windows Phone experienced a slight rebound of share to 2.7% YoY from 2.5% with 9.2 million units shipped this quarter.

Gut, die iOS-Zahlen sind recht gut geschätzt, aber der Rest passt nicht wirklich. Mal abseits einer gewissen Schadenfreude frage ich mich, ob man solche Zahlen überhaupt seriös schätzen kann. Ob Produkte gekauft werden oder nicht, hängt ja von unglaublich vielen Faktoren ab – und einige davon sind rein emotionaler Natur. Deswegen können solche Zahlen meiner Ansicht nach sowieso nur gewürfelt worden sein.