Unsere Bezirkspiraten aus Hamburg Mitte baten mich, doch regelmäßig den Regionalausschuss Horn/Hamm/Borgfelde/Rothensburgsort zu besuchen und ein wenig davon zu erzählen. Dem kam ich gerne nach.
Ich kam schon etwa gegen 18:10 am Ort an (Mensa des rauhen Hauses) und sah noch die Reste des Bauausschusses, der wie gewohnt hinter verschlossenen Türen tagte. Ich sprach dann jemanden an, um nach dem Gästebereich zu fragen und setzte mich dann dorthin.
Fun Fact: Nachdem ich Telefon, WLAN-Hotspot und Notebook ausgepackt hatte, stellte ich fest, dass außer mir keiner Technik präsent hatte. Ein iPad, das noch auf dem Tisch lag, schien zu einem Abgeordneten zu gehören, der zum Bauausschuss gehörte, denn es war später weg.
Ich hatte einen guten Tag für meinen Besuch erwischt, denn heute wurde die Kriminalstatistik für die Stadtteile erläutert. Der Polizeibeamte war dabei sehr locker und legte erstmal dar, wieso diese Zahlen keine Relevanz für den Polizeibetrieb hätten. Zum einen seien sie zu alt (2010), zum anderen gibt es in vielen Bereichen große Dunkelziffern, so dass die Zahlen nicht das wirkliche Verhältnis anzeigen. Wenn ein Thema in der Presse ist, so wächst auch die Empfindlichkeit der Bevölkerung für dieses Thema, deswegen steigen die Anzeigenmengen. Und: gerade wenn es um Bereich der allgemeinen Straftaten geht, so reißen einige Taten die Statistik in Grund und Boden. Als Beispiel nannte er, wenn eine Firma eBay-Betrug in 1.000 Fällen gemacht hat, die in diesen Stadtteilen sitzt. Dies bewirkt, dass es 1.000 Straftaten mehr gibt.
Fun Fact: Auf Neuwerk ist die Kriminalität um 300% gestiegen. Von einem Fall 2009 auf drei Fälle in 2010. Außerdem geschehen 60-70% aller Gewalttaten zu Hause – deswegen sollte man am Besten selten zu Hause sein.
Er wurde dann aber auch mal wieder Ernst und erzählte, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche gestiegen sei. Hier wies er sofort (und ungefragt) darauf hin, dass das Abnehmen von Fingerabdrücken und DNA-Proben selten etwas nutzt, da die Täter zumeist Handschuhe tragen und sehr zielgerichtet agieren. Er erbat sich stattdessen mehr Hilfe von der Bevölkerung, die nicht aktiv wegschauen solle. Er führte hier seine eigene Frau an, die wohl vor einiger Zeit einen Fahrraddiebstahl beobachtet hatte und es sich solange schöngeredet habe (“wird schon sein Rad sein …”) bis der Diebstahl geschehen war. Die Polizei sei dankbar für Hinweise und gehe ihnen nach. Er stellte ferner klar, dass umfangreiche Streifen nicht (mehr) möglich seien, da die Personaldecke zu gering sei. Sie reiche wohl dazu aus, einmal am Tag irgendwo langzugehen, bzw. mit dem Auto herumzufahren – das war es dann aber auch. Auch deswegen würde Hilfe aus der Bevölkerung gerne gesehen.
Ein Abgeordneter erzählte in einem anderen Zusammenhang etwas von Alkoholstraftaten an U- und S-Bahnhöfen und dass dies ja bald der Vergangenheit angehören würde – dabei sah man den Polizisten stark lächeln. Ich gehe davon aus, dass er auch erkannt hat, dass das reine Placebo-Politik ist.
Einige Fakten am Rande:
- Bei den Autobränden hat sich wenig getan, eine höhere Präsenz in den Abendstunden war nicht erfolgreich. Es wird jetzt versucht, das vermutete Milieu zu kontaktieren und mögliche Täter anzusprechen bzw. Belohnung für Hinweise anzubieten.
- Täter für Eigentumsdelikte stammen in der Regel nicht mehr aus der entsprechenden Gegend, sonden reisen umher. Das macht die Ermittlung erheblich schwieriger.
- Früher erzählten gefasste Täter häufiger, welche Einbrüche noch auf ihr Konto gingen, dies unterbleibt mittlerweile. Dies senkt die Erfolgsquote noch weiter.
Er machte außerdem ein paar sehr piratige Äußerungen:
- “Wir haben einen Rechtsstaat und das ist auch gut so.”
- Zur Videoüberwachung: “Wir sind ein Rechtsstaat und wir sind nicht in England”
- “Erziehung ist nicht Aufgabe der Polizei” (Auf die Frage, was die Polizei mit 14jährigen Jugendlichen macht, die gegen 1:00 Nachts auf der Reeperbahn herumstreifen)
Ich muss sagen, dass mir die Antworten des Polizisten sehr gut gefielen.
Und dann kamen die Anträge und ich stellte schnell fest, dass kommunale Politik so gar nichts mit dem zu tun hat, was man aus Bundestagsdebatten kennt. Es herrschte eine extrem konstruktive Atmosphäre. Es sprachen hauptsächlich die Fraktionssprecher, nur selten meldete sich ein anderer Abgeordneter zu Wort. Viele Anträge wurden durch nach konstruktiven Diskussionen im Wortlaut angepasst und dann einstimmig beschlossen. (Bei so 20-30 Personen durchaus bemerkenswert) Eine echte Abstimmung mit “Hand heben” fand dabei nur zweimal statt. Der Versammlungsleiter merkte normalerweise am Ende der Diskussion an, dass der Antrag nun einstimmig angenommen sei.
Eine kleine Kontroverse gab es dann, als es um mehr Parkraum auf der Horner Geest ging. Ein Abgeordneter, den ich den Grünen zugeordnete hätte, wollte in diesen Antrag gleich mit einbringen, dass Car-Sharing stärker gefördert werden müsse und allgemein die Anzahl der Autos reduziert werden müsse – was (wie von anderer Seite angemerkt wurde) komplett am Antrag vorbeiging. Wie ich später feststellte, war der Abgeordnete nicht von den Grünen, sondern von den Linken. Die Linken waren es auch, die sich selten an den Diskussionen beteiligten und wenn doch, dann eher mit etwas irritierenden Äußerungen. SPD, Grüne und CDU harmonierten erheblich besser und ihre Äußerungen waren von mehr Sachverstand geprägt.
Der Antrag auf mehr Parkraum wurde dann von einer großen Anzahl der Abgeordneten (alle außer den Linken) angenommen. Die Grünen hatten noch aufnehmen lassen, dass zur Vermehrung des Parkraums auch geprüft werden solle, ob man den benötigten Platz von der Fahrbahn und nicht von den Fußwegen nehmen könne, um die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zu reduzieren. Im Laufe der Diskussion war es dann wiederum ein Abgeordneter der CDU, der sich intensiv für die Interessen der Radfahrer einsetzte. (Eigentlich eher ein grünes Thema, oder?)
Einigkeit herrschte dann wiederum beim Thema “Verschattungen von Wohnungen durch Bäume in Hamm”. Im Antrag wurde festgestellt, dass bei den Bürgern zu diesem Thema kontroverse Meinungen gäbe. Deswegen soll die Verwaltung eine Anhörung mit Experten und Bürgern durchführen. Danach solle entschieden werden. Es wurde betont, dass es keine “Frontbespaßung” (Meine Formulierung) sein solle, der Bürger solle sich an der Anhörung aktiv beteiligen können – und die Verwaltung solle es auch gut bewerben, damit auch genügend Bürger kommen. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Mein Resumé: Es war sehr interessant, insbesondere auch wegen der Kriminalstatistik. Aber auch so war es gut zu sehen, wie unsere Volksvertreter so arbeiten. Ich denke, ich werde jetzt regelmäßig vorbeischauen.