Gefahrengebiet Hamburg – alle sind verdächtnig

Burkhard Masseida wrote the following post 13 minutes ago:

Neues vom „Gefahrengebiet“
Seit Anfang Juni ist der gesamte Stadtteil Sternschanze ein sogenanntes „Gefahrengebiet“. Diese Besonderheit des Hamburger Polizeirechts erlaubt anlasslose, also unbegründete Personenkontrollen bei beliebigen Passanten durchzuführen.
Die Entscheidung zur Einrichtung eines solchen Gefahrengebiets kann die Polizei dabei selbst treffen, ohne dass irgendeine weiterle Instanz die Maßnahme überprüft.Die Piratenpartei Hamburg tritt schon seit Jahren gegen diesen Freibrief für polizeiliche Willkür ein, der jetzt für das friedliche Schanzenviertel ausgestellt wurde.

Ein Mitglied der Piratenpartei Hamburg konnte mittlerweile über das Portal Frag Den Staat auf Grundlage des Hamburgischen Transparenzgesetzes die Polizei Hamburg dazu bewegen, die Dokumente über die Errichtung des Gefahrengebiets zur Verfügung zu stellen:

https://fragdenstaat.de/anfrage/gefahrengebiet-sternschanze/

Wie man den Unterlagen entnehmen kann, war das Polizeikommissariat 16 in der Lerchenstraße die treibende Kraft in dieser Angelegenheit. Angeordnet wurde die Einrichtung des Gefahrengebiets dann von einer Dienststelle namens DPV/LS, wobei DPV für „Direktion Polizeikommissariate und Verkehr“ steht, also irgendwo auf der Leitungsebene, aber unterhalb des Polizeipräsidenten. Die dauerhafte Einrichtung so einer Kontrollzone, in der die Grundrechte von Bürgern pauschal eingeschränkt werden, ist also nicht einmal Chefsache innerhalb der Polizei, oder gar von der Innenbehörde angeordnet, sondern quasi ein einfacher Verwaltungsakt ohne politisch Verantwortlichen.

Auch der Lagebericht bzw. der Antrag auf Errichtung des Gefahrengebiets hat es in sich. Bereits in der Senatsantwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion in der Bürgerschaft wurde deutlich, wie vage eigentlich die Zielgruppe der Maßnahme definiert wurde. Abgesehen davon, dass Beurteilungen und Verdächtigungen allein auf Grund des Aussehens sowieso immer problematisch sind, und häufig auch Unschuldige treffen, umfasst die Beschreibung der Verdachtsmomente für mutmaßliche „BTM-Erwerber“ nahezu alle Personen zwischen Kindes- und Greisenalter, die sich nach Auffassung der beobachtenden Beamten komisch verhalten. Ob jemand dabei „nach Dealern Ausschau hält“ oder „Desinteresse zur Schau stellt“ – alles ist verdächtig.

Die Begründung, weswegen das PK 16 ein Gefahrengebiet benötigt, erläutert den Hintergrund dafür. Freimütig wird eingeräumt, dass der Konsum von Cannabis, um den es geht, offensichtlich in allen Schichten der Bevölkerung praktiziert und akzeptiert wird.

„Konkret kann es der Gymnasiast sein, wie der Handwerkslehrling oder die englische Touristin mit ihrer achtzehnjährigen Tochter, wie in einem aktuellen Fall.“

Da die Gruppe der Cannabiskunden nach den Lageerkenntnissen also nur sehr „unspezifisch zu beschreiben“ ist, nicht aus klassischen Süchtigen besteht, sondern aus party-orientierten Besuchern des Schanzenviertels, betrachtet die Polizei daher einfach fast jeden Passanten im Schanzenviertel nun als potentiellen Straftäter. Ziel der Maßnahmen soll es u.a. explizit sein, Gelegenheitskunden durch Personenkontrollen nach dem Gießkannenprinzip abzuschrecken. Auch „elektronische Medien und soziale Netzwerke“, über die sich die Kunde über das Gefahrengebiet verbreitet, sind Teil des Abschreckungskonzepts. Wer nicht ins Raster passen möchte, dem wird dagegen empfohlen, sich nur mit einem Kinderwagen oder einer vollen Einkaufstüte durch das Viertel zu bewegen. Neben dem Alter sind das nämlich die einzigen Kriterien, die nach Ansicht der Polizei dagegen sprechen gerade nach einer Bezugsquelle THC-haltiger Rauchwaren zu suchen.